„Sprechen wir über Rassismus“ - Genau das ist die Ausstellung, auf die ich es heute abgesehen habe. Ich nehme eine kleine Treppe dorthin und werde direkt von drei Monitoren in Empfang genommen, die als erste Kunstinstallation auf das Thema Rassismus vorbereiten sollen. Es geht um das Verhältnis von Hautfarbe und Selbstbild und regt zum Nachdenken um die eigene Stellung in der Gesellschaft an.
„Let‘s talk about racism“ im Deutschen Hygienemuseum
Es ist 15 Uhr am Nachmittag und ich steige mit einem Schwall anderer Leute aus der Straßenbahn 4 an der Haltestelle „Hygienemuseum“ aus, um eben diesem einen Besuch abzustatten. „Komischer Name“ denke ich erneut und mir fällt auf, dass ich es an diesem stressigen Morgen nicht unter die Dusche geschafft hatte. „Hoffentlich darf ich trotzdem rein“ schmunzele ich. Mit einem Hunger-Grummeln im Bauch nähere ich mich nach einem kurzen Fußmarsch dem Gebäude sowie – in großer spontaner Freude – einem kleinen Wochenmarkt auf der Lingnerallee, der regionales Obst, Gemüse und Backwaren im Angebot hat.
Die Frau im Bäckerwagen informiert mich, dass es „Sachsenmarkt“ heißt. Man befindet sich schon halb im Abbau, denn der Markt schließt um 16:30 Uhr. Ich schlendere in gemütlichen Schritten Richtung Eingang, lasse mich für ein verspätetes Mittagessen in Form eines Picknicks auf dem überdimensionierten Vorplatz des Museums nieder und genieße die schöne Aussicht.
Generell sind die Hallen des Hygienemuseums hell und einladend und angesichts der modernen minimalistischen Architektur zugleich kühl, aber episch. Hier und da unterhalten sich ein paar Menschen, die in Familien oder kleineren Besuchergruppen zusammenstehen. Nun sehe ich, dass es auch hier ein Café gibt, in dem man sich vor der Erkundungsmission gemütlich hätte stärken können. An der Kasse erfahre ich, dass ich auf den Studenten-Preis von 4€ (normal: 9€) aufgrund des Freitagnachmittag-Rabattes weitere 50% Nachlass erhalte und ich somit nur phänomenale 2€ (normal: 4,50€) zahlen muss. Wahnsinn – das hat sich schon jetzt gelohnt.
Ich erfahre außerdem, dass eine Führung freitags leider extra Geld kosten würde. Dafür gibt es diese aber sonntags umsonst. Die Themen klingen extrem spannend und machen auch Lust aufs Mitdiskutieren; zum Beispiel bei „Sprechen wir über Rassismus“. Genau das ist die Ausstellung, auf die ich es heute abgesehen habe. Ich nehme eine kleine Treppe dorthin und werde direkt von einem Monitor in Empfang genommen, der als erste Kunstinstallation auf das Thema Rassismus vorbereiten soll. Es geht um das Verhältnis von Hautfarbe und Selbstbild und regt zum Nachdenken um die eigene Stellung in der Gesellschaft an. Ich schlendere nachdenklich und zugleich neugierig in den ersten großen Raum der Ausstellung. Davon gibt es insgesamt drei – alle zu einem anderen Thema.
„Alter, krasse Szenerie“ denke ich. Direkt kommen Assoziationen auf wie „Schubladendenken“ oder „Kastensystem“. Soll auch so sein, wie ich später durch Zufall von der Kuratorin der Ausstellung erfuhr. Bis zur Decke reichende boxenartige Holzkonsruktionen erstrecken sich labyrinthartig durch den Raum und eröffnen vereinzelte Wege durch die Ausstellung. Ein Fenster gibt es nicht – es ist dunkel und man bewegt sich durch den Schein angenehmer indirekter Lichtquellen. Die Ausstellungsstücke sind vereinzelt und zugleich zahlreich im Raum verteilt. Überall gibt es etwas zu entdecken, aber das Setting besticht durch stilvollen Minimalismus. Mir fällt auf, dass einzelne Stücke nur schwer oder mit Aufwand zu erreichen sind. Später erfahre ich, dass die Exemplare mit Absicht so positioniert sind, weil sie teilweise gegen den Willen der betroffenen Personen abgenommen wurden und ihre je einzelnen Geschichten im Rahmen der Ausstellung aufgearbeitet worden sind. So zum Beispiel die Gipsabdrücke des Gesichtes einer schwarzen Frau: die Maske ist nur zugänglich, indem man sich hinter eine durchsichtige Klapptür begibt, in der man sich selbst wie ein Ausstellungsstück vorkommt. Über Kopfhörer erfährt man, dass die Maske unter für das Modell unfreiwilligen und äußerst unangenehmen Bedingungen angefertigt worden ist.
Ein weiteres Beispiel für die besondere Art der Ausstellungsinszenierung ist eine Art Spiegelkasten, in dem sich die abgeschnittenen Rastazöpfe einer Berliner Künstlerin befinden. Nähert man sich den Haaren, um sie anzufassen, wird man von einem plötzlichen Blitzlicht erschrocken und erkennt sich natürlich auch schlagartig im Spiegel hinter den Haaren. Man erfährt über die Infotafel, dass die ehemalige Besitzerin der Haare seit Jahrzehnten in Berlin beheimatet ist und sich von stetigen Fragen im Alltag, ob man mal ihre Haare anfassen dürfte, stets aufs Neue auf ihre Hautfarbe reduziert fühlt.
Im zweiten Raum herrscht eine ganz andere Atmosphäre. Die Wände sind weiß und es wirkt dort klinisch und kühl. Hier geht es um die Geschichte des Rassismus, um Genforschung, um Körperbilder, um Kulturartefakte und vieles mehr. Es handelt sich um die Sammlungen von Ausstellungsstücke aus vornagegangenen Ausstellungen zum Thema „Menschenrassen“ und deren Geschichten. Auch hier lohnt sich ein aufmerksamer Blick für das, was sich nicht auf Augenhöhe befindet, teilweise sogar verdeckt ist und bewusst erschlossen werden muss. Und es lohnt natürlich auch hier der Gedanke daran, warum das wohl so ist. Oft eröffnen die Infotafeln nicht nur den Sachgehalt ihres jeweiligen Gegenstandes, sondern eben auch seine Geschichte und seine prägenden Erlebnisse. Es ist immer eine Besichtigung auf zwei Ebenen.
Im dritten Raum wartet dann eine architektonische Glanzleistung. In dessen Zentrum befindet sich ein fast abgeschlossener Raum, der von dicht nebeneinander aufgestellten mehrere Meter hohen Papprollen umrandet ist. Man kommt sich ein bisschen vor wie in einem Wald voller Bambus.
Hier ist Raum, um sich - vielleicht bereits etwas ermattet von den vielen Eindrücken - hinzusetzen und die Gedanken schweifen zu lassen. Außerdem ist es ein Raum des Dialogs. Angeregt von den vielen Eindrücken ergibt sich das Gespräch mit anderen dort fast von allein und man gerät intuitiv in einen spannenden Austausch mit anderen Museumsbesuchern. Außerhalb des „Bambusdschungels“ befinden sich in dem abgedunkelten Raum an je drei Wänden Videoinstallationen zum Thema Rassismus. Mir ist besonders eindrücklich der dokumentationsartige Zusammenschnitt von Interviews der deutschen Moderatorin Mo Asumang mit Neonazis, Vertretern des Ku Klux Klans und anderen Menschen mit rassistischem Gedankengut in Erinnerung geblieben. Die Ausschnitte stammen aus dem Film „Die Arier“ und gehen sehr nah. Es ist insgesamt eine Ausstellung zum Nachdenken und vor allem auch eine, in der dem Besucher nicht erspart wird, sich selbst zu reflektieren.
Ich fand das einfach spannend, belebend und die Erkenntnis nachhaltig anregend. Und für den Preis von 2€ bzw. 4,50€, für die man ja die aktuell laufenden anderen beiden Ausstellungen auch noch ansehen kann, so was von jeden Cent wert. Außerdem gilt das Ticket direkt für zwei aufeinander folgende Tage - wenn man also an Tag 1 nicht alles geschafft hat, kann man den Rest einfach am Folgetag nachholen.
Viel Spaß!
Jessie - Lollis Homestay
Alle weiteren Infos findest du auf: https://www.dhmd.de/ausstellungen/rassismus/
Wie du dort am besten hinkommst, erfährst du hier (Zielhaltestelle „Deutsches Hygienemuseum“): https://www.dvb.de/de-de/
28.11.2018, 18:00 @ Jessie - Lollis Homestay
Kategorien: Kunst und Museen · Aktivitäten · Dresden // Schlagworte: Hygienemuseum · low budget · günstig · preiswert · Museum · Rassismus · dresden · Rechtspopulismus · Kultur · Rasse · Angebot · Sachsenmarkt · Lingnermarkt